Fachkräftemangel erklärt!

von Sebastian Prax

Aktualisiert: 27.11.2023 Lesedauer: ca 6min

fachkräfte betonieren auf baustelle

Alle sprechen vom Fachkräftemangel, doch was bedeutet der Begriff Fachkräftemangel eigentlich? In welchen Branchen und wo am Arbeitsmarkt fehlen Arbeitskräfte? Welche Dimensionen hat der Fachkräftemangel und welche Lösungsansätze gibt es?

Im folgenden Artikel klären wir den Zusammenhang zwischen Demographischem Wandel, offenen Stellen am Arbeitsmarkt und Arbeitslosenzahlen verständlich und beleuchten den Begriff Fachkräftemangel kritisch. 

Was bedeutet Fachkräftemangel?

Fachkräftemangel bedeutet, dass bestimmte Arbeitsstellen nicht mehr von dafür qualifizierten ArbeitnehmerInnen besetzt werden können. Das heißt am Arbeitsmarkt sind keine für die Stelle geeigneten Arbeitskräfte vorhanden. 

Davon abzugrenzen ist der Arbeitskräftemangel. Vom Arbeitskräftemangel spricht man, wenn in Volkswirtschaften mehr offene Arbeitsstellen als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Beide Phänomene haben einen negativen Effekt auf Unternehmen und Wirtschaft, da ein mögliches Wirtschafts- oder Unternehmenswachstum abgeschwächt wird. Die Mangelsituation an Arbeitskräften herrscht jedoch nicht am gesamten Markt, sondern ist in den meisten Fällen regional oder auf bestimmte Branchen beschränkt. 

Der Fachkräftemangel ist ein strukturelles Problem, das durch mehrere Dimensionen beeinflusst wird. Befeuert wird der Fachkräftemangel sowie der Arbeitskräftemangel besonders durch den Demografischen Wandel, den Trend zu höheren Bildungsabschlüssen sowie die Urbanisierung und Landflucht. 

Demografischer Wandel erklärt

Die demografische Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz läuft sehr ähnlich ab. Kurz zusammengefasst wird die Bevölkerung immer älter, während der Anteil der jungen Bevölkerung rückläufig ist. Das hat nicht nur Einfluss auf die Wirtschaft, sondern auf viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Drei Faktoren beeinflussen die demografische Entwicklung besonders stark:

  1. Niedrige Fertilität

  2. Steigende Lebenserwartung

  3. Zunehmende Migration

Niedrige Fertilität

Unter einer niedrigen Fertilität bzw. einer niedrigen Fertilitätsrate versteht man die durchschnittliche Anzahl an Kindern, die eine Frau in ihrem Leben gebärt. Diese liegt im DACH Raum bei durchschnittlich 1,49 Kindern pro Frau. Also deutlich unter dem Reproduktionsniveau von zwei Kindern per Elternpaar. 

Steigende Lebenserwartung

Neben der niedrigen Fertilitätsrate steigt die Lebenserwartung circa zwei Jahre pro Jahrzehnt und liegt in Österreich bei 77,7 Jahren bei Männern und 83,1 Jahren bei Frauen (WKO - Demografische Entwicklung). Damit wird die Bevölkerung immer älter, das gilt auch für Deutschland und die Schweiz. 

Zunehmende Migration

In vielen westeuropäischen Ländern, so auch in Österreich und Deutschland, basiert der Bevölkerungszuwachs im wesentlichen auf Zuwanderung. Ohne ein positives Wanderungssaldo würde die österreichische Bevölkerung stagnieren.  

Grafik Demografischer Wandel

Umgelegt auf den Arbeitsmarkt bedeuten diese drei Faktoren, dass immer weniger junge Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt nachrücken. Bei einem Höchststand an offenen Stellen am Arbeitsmarkt bedeutet das, dass Unternehmen nicht mehr alle ihre offenen Positionen besetzen können. 

Corona Pandemie und Fachkräftemangel

Die Corona Pandemie hatte keinen nachhaltigen Effekt auf den Fachkräftemangel. Kurzfristig wurde durch das Freisetzen von Arbeitskräften das Arbeitskräftepotential am Arbeitsmarkt zwar erhöht, durch Maßnahmen wie die Kurzarbeit wurde jedoch von Anfang an versucht, diesen Effekt abzufedern. Nach den Lockdowns stieg der Personalbedarf wieder sprunghaft an. Damit war das zusätzliche Arbeitskräftepotenzial schnell wieder ausgeschöpft. 

Im Gegenteil dazu hat sich während Pandemie die Anzahl an Lehr- und Ausbildungsstellen verringert. Viele junge Menschen blieben während der Pandemie lieber in der Schule und schafften den Berufseintritt erst verzögert, dies könnte den Fachkräftemangel mittelfristig weiter verschärfen. 

Vier Dimensionen des Fachkräftemangels

Neben dem demografischen Wandel spielen noch vier Dimensionen eine Rolle im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel. 

“Vier Dimensionen des Fachkräftemangels”:

  • Generationen & Arbeitsleben

  • Urbanisierung & Landflucht

  • Trend zu höheren Bildungsabschlüssen

  • Unternehmensbekanntheit

Vier Dimensionen des Fachkräftemangels

Generationen & Arbeitsleben

Die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter wird immer älter. Daneben hat sich aber auch die Einstellung der jungen Generationen (Generation Z & Generation Y), die auf den Arbeitsmarkt nachrücken, zum Arbeitsleben wesentlich geändert: Work-Life-Balance, flache Hierarchien, klare Trennung von Job und Freizeit sowie Selbstverwirklichung spielen für diese Generationen eine besondere Rolle. Im Gegensatz zu den vorangegangen Generationen, die ihrem Arbeitgeber gegenüber sehr loyal waren, ist die durchschnittliche Anstellungsdauer in den letzten Jahren deutlich gesunken. Jobwechsel werden also immer häufiger. 

Bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation beobachten wir eine Verschiebung im Einfluss der verschiedenen ArbeitsmarktteilnehmerInnen: Gut ausgebildete ArbeitnehmerInnen können sich in der derzeitigen Situation passende Stellen aussuchen, gleichzeitig können viele Unternehmen ihre Stellen jedoch nicht mehr besetzen. Deshalb kann man von einem Arbeitnehmermarkt sprechen.

grafik arbeitgeber- vs. arbeitnehmermarkt

#hokifyerklärt: Unter einem Arbeitnehmermarkt versteht man die Arbeitsmarktsituation, in der Unternehmen um qualifizierte Fachkräfte werben müssen. Hingegen versteht man unter Arbeitgebermarkt ein großes Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, aus denen der Arbeitgeber wählen kann.

Urbanisierung & Landflucht

Die Urbanisierung und die damit verbundene Landflucht sind Prozesse, die bereits mehrere Jahrzehnte anhalten. Verstädterungsprozesse haben vielschichtige Ursachen, jedenfalls führen sie dazu, dass Teile der Landbevölkerung in Städte und Ballungszentren abwandern, besonders im arbeitsfähigen Alter. Damit kann der Arbeitskräftebedarf in ländlichen Regionen oft nicht mehr gedeckt werden, das verstärkt die wirtschaftliche Spaltung zwischen Stadt und Land. Dazu herrscht in manchen urbanen Zentren ein Überangebot an Arbeitskräften.

Der Fachkräftemangel wird zusätzlich noch von weiteren regionalen und geographischen Aspekten beeinflusst: Je nach Region und wirtschaftlicher Spezialisierung werden branchenspezifisch MitarbeiterInnen benötigt. In Österreich werden etwa in den Tourismusregionen im Westen viele Mitarbeiter in Gastronomie & Beherbergung benötigt dazu oft noch saisonal fokussiert.

Trend zu höheren Bildungsabschlüssen

Im Bereich Lehre und Berufsausbildung ist die Lage derzeit angespannt. Obwohl es ausreichend freie Lehr- und Ausbildungsplätze gibt, bleiben viele junge Menschen ohne Lehrstelle und damit viele Lehrstellen in Betrieben unbesetzt. Durch die Corona-Pandemie wurden zudem viele Ausbildungsstellen gar nicht erst ausgeschrieben.

Der Grund dafür ist, dass immer mehr Jugendliche ein Studium anstreben und die Hochschulreife haben, daneben gibt es jedoch auch immer mehr Schulabbrecher ohne Hauptschulabschluss. 

Unternehmensbekanntheit

Eine weitere Dimension des Fachkräftemangel liegt darin, dass nicht alle Unternehmen gleichermaßen Probleme bei der Besetzung ihrer Stellen haben. Manche Betriebe finden nach wie vor genug MitarbeiterInnen, das hat oft mit der Markenbekanntheit von Unternehmen zu tun. Große Brands, die eine hohe Bekanntheit haben, finden einfacher MitarbeiterInnen, als kleinere Unternehmen, die keine so große Öffentlichkeit erreichen.

Besonders Klein- und Mittelbetriebe werden in Zukunft mehr auf Employer Branding und Personalwerbungsmaßnahmen setzen, um qualifizierte Kandidaten aktiv anzusprechen.

Kritische Auseinandersetzung mit Begriff Fachkräftemangel

Oft wird der Begriff Fachkräftemangel unpräzise und verallgemeinernd verwendet. Derzeit kann nicht von einem allgemeinen Fachkräftemangel gesprochen werden, das gilt für den gesamten DACH Raum.

Dazu ist der Fachkräftemangel ein Begriff, der interessengeleitet verwendet wird. Die Anzahl an Betrieben, die Ausbildungs- und Lehrstellen anbietet, sinkt kontinuierlich, gleichzeitig sind viele Ausbildungsberufe unterbezahlt und kämpfen mit tiefsitzenden Imageproblemen. Im Bereich der Berufsinformation von Jugendlichen gibt es deutlichen Nachholbedarf, auch das sind Aspekte, die den Fachkräftemangel beeinflussen. Dazu arbeiten viele eingewanderte Hochqualifizierte nicht ihrer Qualifikation entsprechend im Niedriglohnsektor. 

Eine weitere Unschärfe bei der Bestimmung des Fachkräftemangels liegt in der vermeintlichen Anzahl an offenen Stellen: Oft bestehen für eine reale, zu besetzende Stelle, mehrere ausgeschriebene Stelleninserate. Offene Positionen werden somit in Statistiken mehrfach gezählt und verzerren den tatsächlichen Arbeitskräftebedarf. 

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es keinen allgemeinen Fachkräftemangel gibt. Der Begriff wird in Debatten zum Arbeitsmarkt nicht immer präzise verwendet. Um zu bestimmen, wo ein Fachkräftemangel herrscht können die Dimensionen des Fachkräftemangels herangezogen werden.

Liste an Mangelberufen

In den folgenden Berufsgruppen herrscht derzeit ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften (das trifft wie oben beschrieben nicht auf alle Branchen und Regionen sowie Unternehmen gleichermaßen zu).

Eine Liste der bundesweiten Mangelberufe für das Jahr 2022 in Österreich kann hier eingesehen werden.

Fachkräftemangel: Auswirkung auf das Recruiting

Der Fachkräftemangel hat unternehmerische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Recruiting und Personalwesen müssen mit substanziellen Auswirkungen durch den Mangel an geeigneten KandidatInnen zurechtkommen. Verändert hat sich in den letzten Jahren das Verhältnis der ArbeitsmarktteilnehmerInnen und damit der grundlegende Ansatz wie Recruiting funktioniert. Es wird zunehmend wichtiger, aktiv auf passende KandidatInnen zuzugehen und diese zu einer Bewerbung zu animieren, besonders dort wo wenige KandidatInnen verfügbar sind. 

Im Recruiting Prozess rücken damit die “frühen” Phasen der Ansprache/Attraction sowie Bewerbung in den Fokus, die Phase der Auswahl eher in den Hintergrund. Das ist besonders dort der Fall, wo sich insgesamt weniger KandidatInnen im Recruiting Prozess befinden. BewerberInnen, die sich im Prozess befinden, dürfen nicht daran scheitern, eine Bewerbung abzuschicken.  

Fachkräftemangel: Lösungsansätze

Der Fachkräftemangel ist ein Strukturproblem, welches einerseits nicht allgemein am gesamten Arbeitsmarkt gilt und andererseits von weiteren Dimensionen (Generationen & Arbeitsleben, Urbanisierung & Landflucht, Trend zu höheren Bildungsabschlüssen, Unternehmensbekanntheit) beeinflusst wird. 

Die Lösungsansätze des Fachkräftemangels können grob in zwei Bereiche gegliedert werden: Erstens in Lösungsansätze auf politischer und institutioneller Ebene, diese betreffen den gesamten Arbeitsmarkt und zweitens in Lösungsansätze auf betrieblicher Ebene. Diese Ansätze können dem Fachkräftemangel auf Unternehmensebene entgegenwirken. 

Einfach gelöst werden kann der Fachkräftemangel nicht, denn hier bedarf es einem Schulterschluss auf allen Ebenen. Die folgenden Ansätze verstehen sich als Auswahl der wichtigsten Maßnahmen:

Lösungsansätze politisch & institutionell:

Stärkung des Lehrberufs: Verstärkte und geförderte Lehrlingsausbildung. Information zur Berufswahl und Karriere mit Lehre für Jugendliche.

Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials: Weiterbildung & Ausbildung des bestehenden Arbeitskräftepotentials.

Anwerben von ausländischen Fachkräften: Dringend benötigte Fachkräfte im Ausland anwerben. Dazu müssen institutionelle Hilfestellungen und Förderungen bestehen.

Lösungsansätze betrieblich:

Strategisches Recruiting: Fokus auf die frühen Phasen des Recruitings “Ansprache/Attraction”. Wichtig ist dazu eine Optimierung des Recruiting Prozesses.

Employer Branding: Starke und attraktive Arbeitgebermarke aufbauen. Positionierung als guter Arbeitgeber.

Aktive Kandidatensuche/Active Sourcing: Fokus auf die aktive Mitarbeitergewinnung, über Social Media, Bewerberdatenbanken etc..

Der Fachkräftemangel ist ein großer Komplex, der viele Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben beeinflusst. Es gilt hervorzuheben, dass man nicht von einem allgemeinen Fachkräftemangel sprechen kann. Der Fachkräftemangel beschränkt sich auf bestimmte Regionen und Branchen, kann sich jedoch je nach Arbeitsmarktsituation und Umweltsituation auf andere Bereiche ausdehnen.

Alle Infos zum Arbeitsmarkt!

Mehr zum Thema Arbeitsmarkt

Interessante Artikel zum Thema Arbeitsmarkt

Mehr Karriere-Tipps